Als die Stadt ihre Kreisfreiheit verlor

Vortrag zur Gebietsreform vor 50 Jahren

Fuldaer Bürger, an der Spitze OB Wolfgang Hamberger, demonstrierten 1972 in Wiesbaden gegen den Verlust der Kreisfreiheit ihrer Stadt. / Fotos: Hubert Weber/Stadtarchiv Fulda

Genau 50 Jahre ist es her, dass die Stadt Fulda ihre Kreisfreiheit verlor und wieder Teil des Landkreises Fulda wurde. Der ehemalige Oberbürgermeister Gerhard Möller erinnerte in einem Vortrag des Geschichtsvereins an die emotionale Debatte in den 70ern – und gab einen Ausblick, wie es um eine Gebietsreform in der Zukunft bestellt sein könnte. Als ehemaliger Kreistagsabgeordneter, späterer Amtsleiter und Erster Kreisbeigeordneter beim Landkreis Fulda, ist Gerhard Möller prädestiniert für einen Vortrag zur Gebietsreform. Vor rund 90 Gästen im Kanzlerpalais merkte der Alt-OB an, die Debatte darum sei nicht über Nacht gekommen: „Schon kurz nach der Gründung des Bundeslandes Hessen 1946 beschäftigten sich die Verantwortlichen damit.“ Es habe damals Hunderte Kleinstgemeinden mit weniger als 200 Einwohnern in Hessen gegeben – moderne Verwaltungen seien damit nicht denkbar gewesen.

1970 stellte die Landesregierung schließlich Modellpläne vor, wie die künftigen Landkreise aussehen könnten. Die Landkreise wiederum präsentierten ihre Ideen, wie die kreisangehörigen Kommunen gebildet werden könnten. Dies stieß nicht immer auf Gegenliebe, betonte Möller: „Die Gemeindevertretung Eiterfeld zum Beispiel hatte beschlossen, sich dem Kreis Hersfeld anzuschließen. Dietershausen hatte mit Ebersburg statt mit Künzell geliebäugelt. Der Kreistag Fulda hat dies in beiden Fällen aber überstimmt.“ Wehrda, Rhina und andere Orte, die heute die Gemeinde Haunetal bilden, hätten lieber zu Fulda gehört. Hünfeld hatte seine Fühler nach Haselstein ausgestreckt, um besondere Zonenrandförderung zu erhalten – das Dorf ging dann aber in der neuen Gemeinde Nüsttal auf. Kurios sei es auch in der Rhön zugegangen: So sei mit Ebersburg eine neue Gemeinde gegründet worden, die aus den etwa gleich großen Orten Ried, Schmalnau, Weyhers, Thalau und Ebersberg entstand und kein „richtiges“ Zentrum habe. Auch dass Weidenau Freiensteinau und damit dem Vogelsberg zugeordnet wurde, habe für viele keinen Sinn ergeben. „Die Stadt Lauterbach hingegen wollte sich eher dem Kreis Fulda anschließen – aus Sicht der SPD-geführten Landesregierung wäre das ‚schwarze‘ Fulda dann aber wohl zu stark geworden“, erklärte Möller. Deswegen habe man sich eines Tricks bedient: Man habe Lauterbach den Status als Kreisstadt angeboten – und so die Stadtverordneten überzeugt. Für uns heute unvorstellbar: Oftmals wurden die Gemeindegrenzen anhand der Konfessionsgrenzen gezogen, etwa bei Gichenbach (Gersfeld) und Untergichenbach (Ebersburg). Die Gebietsreform habe auf jedes Dorf Auswirkungen gehabt – und sei entsprechend hart verhandelt worden. „Es war ein Hauen und Stechen um die Zugehörigkeiten. Das war nicht nur etwas für Verwaltungsexperten und Juristen“, sagte Möller.

Besonders emotional sei die Debatte um die Kreisfreiheit der Stadt Fulda geführt worden. Die Stadt war 1927 kreisfrei geworden – dies sollte dem Willen der Landesregierung aber künftig Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern vorbehalten sein. Die Rückkreisung hätte nicht nur Autoritätsverlust bedeutet, sondern Fulda hätte sein Entwicklungspotenzial verloren – quasi eine „Stadt ohne Raum“. Die Stadt strebte deshalb an, mindestens Petersberg und Künzell einzugemeinden. Auf der anderen Seite habe Landrat Eduard Stieler kein Interesse an einer starken Stadt gehabt – ein kreisfreies Fulda hätte nämlich die Existenzfähigkeit seines eigenen Kreises gefährdet. „Stieler war seit 17 Jahren Landrat, gerierte sich als ein ‚König mit Land‘ – während ihm mit Wolfgang Hamberger ein Oberbürgermeister gegenüberstand, der gerade erst frisch ins Amt gewählt worden war und seine Rolle noch finden musste“, führte Möller aus.

Es wurden große Demos organisiert, die Fuldaer fuhren aus Protest sogar zum Landtag nach Wiesbaden – letztlich ohne Erfolg. Am 1. Juli 1974 verlor die Stadt ihre Kreisfreiheit, ging zugleich aber mit einem Kompromiss vom Feld. Fulda wurde zur Sonderstatusstadt, konnte somit Privilegien wie Schulträgerschaft und Bauaufsicht behalten. Der Referent bilanzierte: „Die Gebietsreform war für Fulda nicht vollumfänglich befriedigend, aber die Leute haben sich daran gewöhnt. Die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Landkreis funktioniert gut, es haben sich viele Kooperationen auch mit anderen Kommunen ergeben, etwa beim ÖPNV, beim Abwasserverband, bei der VHS und bei Gewerbegebieten. Von daher kann man sagen: Die Gebietsreform war erfolgreich.“ Möller wagte überdies einen Blick in die Zukunft: „Es gibt immer wieder Diskussionen um eine Großstadt Fulda. Dies würde aber einen Rattenschwanz nach sich ziehen. Würde Fulda kreisfrei, müsste auch der Landkreis Fulda reformiert werden. Das hätte Folgen für kleinere Kreise wie den Vogelsberg und Hersfeld- Rotenburg, dann würden sich Zuschnitte für Regionalplanung und Regierungspräsidien ändern müssen.“ Möller prophezeite: „Dieses heiße Eisen wird keine Landesregierung anpacken wollen.“

Der Vortrag über die Gebietsreform bildete zudem den Auftakt für das neue Jahresprogramm des Fuldaer Geschichtsvereins, das von Möller – zugleich Vorsitzender – vorgestellt wurde. Der Vorstand hat wieder ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt, darunter Vorträge zum Bombenkrieg 1944/1945, zum Verhältnis Fulda-Lauterbach, dem Bauernkrieg, dem Abt als Erzkanzler der Kaiserin und der Geschichte der Stifoller. Das komplette Programm des Fuldaer Geschichtsvereins gibt es unter www.geschichtsverein.fulda.de oder in den Broschüren, die in den einschlägigen Einrichtungen ausliegen. +++ pm