Lübcke-Prozess: SPD, FDP und DIE LINKE. beantragen Untersuchungsausschuss

Beuth: Parteipolitische Interessen haben angesichts der Tat in den Hintergrund zu treten

† Dr. Walter Lübcke

Am Dienstag dieser Woche hat in Frankfurt am Main der Strafprozess gegen Stephan E., den mutmaßlichen Mörder des ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten, Dr. Walter Lübcke, sowie gegen den mutmaßlichen Mittäter, Markus H., begonnen. Während das Gericht die Frage nach der strafrechtlichen Schuld der Angeklagten zu klären hat, soll sich ein Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag mit dem Vorgehen der hessischen Sicherheitsbehörden in der Zeit vor dem Mord beschäftigen. Den Antrag zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses, über den der Landtag in der kommenden Woche abstimmen wird, haben die Landtagsfraktionen von SPD, FDP und DIE LINKE. eingebracht.

Rudolph (SPD): Untersuchungsausschuss ist unverzichtbar

Vertreter der drei Oppositionsfraktionen haben heute in Wiesbaden auf einer gemeinsamen Pressekonferenz erläutert, welchen Fragen der Untersuchungsausschuss nachgehen soll und welchen Erkenntnisgewinn sie von der Arbeit des Untersuchungsausschusses erwarten. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, Günter Rudolph, sagte, der Ausschuss sei unverzichtbar, um zu klären, warum die Sicherheitsbehörden, insbesondere das hessische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV), die Gefahr, die von dem Rechtsextremisten Stephan E. ausging, so schwerwiegend unterschätzt haben. „Ein Mann, der seit seiner Jugend immer wieder als gewalttätiger Rechtsextremist straffällig geworden ist und der in den Akten des LfV als ‚brandgefährlich‘ bezeichnet wurde, wird nicht über Nacht zu einem harmlosen Bürger. Dennoch wurde Stephan E. vom Verfassungsschutz, der ihn lange beobachtet hat, überraschend als ‚abgekühlt‘ bewertet und nicht weiter überwacht. Es gab den NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel, es gab einen Untersuchungsausschuss des Landtags, der die rechte Szene in Hessen durchleuchtet hat – und dennoch haben die Beteiligten bis hinauf zum Innenminister offenkundig nicht verstanden, welches Gefährdungspotenzial rechtsextreme Gewalttäter in sich tragen. Man kann das für strukturelle politische Ignoranz halten, aber auch für Behördenversagen. Um das Versagen von Behörden und die politische Verantwortung dafür aufzuklären, gibt es das Instrument des Untersuchungsausschusses, das wir nun einsetzen“, erklärte Rudolph.

Müller (FDP): Der Frage nachgehen, warum Stephan E. aus dem Fokus des Verfassungsschutzes geraten ist

Der FDP-Innenpolitiker Stefan Müller sagte, der Untersuchungsausschuss diene der politischen Aufarbeitung des Mordes an Dr. Walter Lübcke: „Uns Freien Demokraten geht es im Wesentlichen darum, mögliche Fehler im Bereich des Verfassungsschutzes und der Ermittlungsbehörden aufzuklären, insbesondere warum Stephan E. aus dem Fokus des Verfassungsschutzes geraten ist. Ziel muss es sein, die Abläufe und Strukturen weiter zu verbessern, um in Zukunft solche Situationen möglichst auszuschließen, aber jedenfalls das Risiko weiter zu minimieren. Deswegen gilt es, auch bestehende Strukturen zu prüfen und für die Zukunft zu verbessern“, so Müller.

Schaus (DIE LINKE.): Hinweise auf rechtsradikale Aktivitäten wurden ignoriert

Für die Fraktion DIE LINKE. stellte deren innenpolitischer Sprecher Hermann Schaus fest, dass es kein Vertrauen mehr in die Aufklärungsbereitschaft und die Aufklärungsfähigkeit des hessischen Innenministers und des LfV gebe. Schaus sagte: „Die Erzählung von Hessens Innenminister Peter Beuth und des Verfassungsschutzes, wonach seit 2009 keine Erkenntnisse mehr über rechtsradikale Aktivitäten der später mutmaßlich am Lübcke-Mord Beteiligten vorgelegen hätten, entsprechen nicht der Wahrheit. Es liegen immer mehr Hinweise auf rechtsradikale Aktivitäten von Stephan E. und Markus H. nach 2009 vor. Dennoch wurden diese Hinweise ignoriert oder falsch eingeordnet. Zudem wurden die Akten gesperrt und dem damaligen NSU-Untersuchungsausschuss nicht übergeben. Beide Neonazis konnten sich ab spätestens 2014 bewaffnen – im Fall von Markus H. sogar im Wissen der Behörden. Dies musste der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz inzwischen zugeben. Aus Sicht der Linken brauchen wir deshalb endlich weitreichende, strukturelle, aber auch personelle Konsequenzen. Damit und mit weiteren auf der Hand liegenden Fragen wird sich nun der Untersuchungsausschuss beschäftigen müssen, der auf Initiative von SPD, Freien Demokraten und Linken demnächst seine Arbeit aufnehmen wird.“

Innenminister Beuth: Unsere Demokratie muss jeglichen Rechtsextremismus mit allen Mitteln bekämpfen

Der Hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) erklärte: „Der schreckliche Mord am nordhessischen Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke hat Hessen erschüttert. Die Tat ist eine tiefe Zäsur für ganz Deutschland. Erstmals seit den niederträchtigen Morden der RAF ist ein Repräsentant unseres Staates und unserer freiheitlichen Demokratie offenbar gezielt und aus niederträchtigen Motiven zum Opfer extremistischer Gewalt geworden. Der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassenwahn und rechten Hass ist konstituierend für den Schutz unserer gemeinsamen Werte. Es ist daher unsere Pflicht als Demokraten, dass sich neben der rechtsstaatlichen Aufklärung der Tat, die nunmehr vor dem Oberlandesgericht Frankfurt stattfindet, auch das Parlament mit diesem, mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Mord an einem herausragenden Repräsentanten unseres Staates befasst. Ich habe stets betont, dass ich eine solche, an der Sache orientierte parlamentarische Befassung nach Kräften unterstützen werde. Ein Untersuchungsausschuss ist zwar in erster Linie ein Instrument der Opposition und dient daher allzu oft der reinen parteipolitischen Profilierung. Doch parteipolitische Interessen haben angesichts der Tat in den Hintergrund zu treten. Jeder Parlamentarier, dem es ernst ist mit unserer Demokratie, wird bei der nun anstehenden parlamentarischen Befassung mit diesem Mord aufrichtig vom gemeinsamen Konsens angetrieben sein, dass unsere Demokratie jeglichen Rechtsextremismus mit allen Mitteln bekämpfen muss. Diesen Kampf führen auch unsere Sicherheitsbehörden tagtäglich. Sie führen ihn stets auch selbstreflektierend und mit dem Ziel, ihre Arbeitsweisen stetig zu optimieren. Dort, wo wir im Rückblick auf die letzten Jahrzehnte einen möglichen Missstand festgestellt haben, dort haben wir ihn unmittelbar abgestellt oder aber durch unsere Modernisierungsschritte der letzten Jahre bereits neue Verfahrenswege etabliert. Unmittelbar nach dem Mord an Dr. Walter Lübcke hat das Landesamt für Verfassungsschutz eine umfangreiche Aktensichtung angestoßen, damit relevante Akten schnellstmöglich dem Generalbundesanwalt für seine Ermittlungen zur Verfügung gestellt werden konnten. Wir haben bei der hessischen Polizei eine besondere Aufbauorganisation (BAO) Hessen R(echts) gebildet, um den Druck auf die rechte Szene in Hessen durch gezielte, polizeiliche Kontroll- und Durchsuchungsmaßnahmen zu erhöhen. Hessen hat heute eine moderne Polizei. Wir haben das Landesamt für Verfassungsschutz massiv gestärkt und modernisiert. Wir haben es von Grund auf umgebaut und operativer ausgerichtet. Dieser Modernisierungsprozess der Sicherheitsbehörden ist nicht abgeschlossen. Der wichtigen Aufgabe geschuldet, werden wir diese Modernisierung auch künftig mit Nachdruck fortführen. Der Beitrag, den die parlamentarische Befassung mit dem Mord an Dr. Walter Lübcke dazu leisten kann, wird dabei miteinfließen.“ +++