Mittelstand dringt auf Impfpflicht

Hausärzte erwarten Booster-Ansturm

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) will die Einführung einer Impfpflicht. Wenn es nicht zu Lockdowns jeglicher Art kommen soll, werde man „um Pflichtimpfungen nicht herumkommen, wie es sie jetzt schon gegen Masern gibt“, sagte BVMW-Bundesgeschäftsführer Markus Jerger den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die bisherigen Appelle hätten bei der Mehrzahl der Impfunwilligen nicht zu einem Umdenken geführt. „Ich kann nachvollziehen, dass Politiker das Wort Impfpflicht nicht in den Mund nehmen wollen. Aber unter dem Strich ist das ist die unbequeme Wahrheit, wenn alle anderen Maßnahmen nicht greifen“, so Jerger.

Kritik äußerte der Chef des Unternehmerverbands an der geplanten 3G-Regel am Arbeitsplatz. „Für viele Bereiche, in denen 3G jetzt eingeführt werden soll, bedeutet das einen gigantischen Organisations- und Kontrollaufwand. Das ist ehrlicherweise gar nicht leistbar. Außerdem steht mit der Testpflicht ein unkalkulierbares Kostenrisiko im Raum“, warnte Jerger. Die Kosten dürften nicht auf die Unternehmen abgewälzt werden. Im öffentlichen Raum plädierte Jerger für die Einführung der 2G-Regel. „Bei Verstößen gegen die Regeln müssen spürbare Sanktionen greifen. Das gilt auch für die Beschäftigten im Betrieb. Wer sich nicht impfen lassen will, muss im schlimmsten Fall Lohnkürzungen in Kauf nehmen“, sagte der BVMW-Chef. Jerger untermauerte zudem die Ablehnung seines Verbands gegenüber einer neuen Homeoffice-Pflicht. „Wir plädieren dafür, dass Unternehmen und ihre Beschäftigten auch beim Homeoffice nach dem Prinzip der doppelten Freiwilligkeit darüber entscheiden können, wie betriebsintern verfahren wird. Schon deswegen ist auch eine darüber hinaus gehende generelle Homeoffice-Pflicht für alle Unternehmen realitätsfern und überflüssig“, sagte Jerger. Wer sich an die 3G-Regeln halte, solle auch weiterhin im Betrieb arbeiten dürfen.

Polizeigewerkschaften: Können 2G- und 3G-Regeln nicht überwachen

Die Polizeigewerkschaften fürchten überlastete Polizei, die bald 2G-, 3G- oder auch 3Gplus-Zugangsregeln überwachen soll. Sie könne „schon jetzt wichtige Aufgaben nicht mit voller Kraft wahrnehmen, etwa in der Verkehrsüberwachung“, warnte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Zudem hätten andere Aufgaben Vorrang, wie die Terror- und Kriminalitätsbekämpfung sowie Grenzsicherung bei der Bundespolizei. Das Kontrollieren von Impf- oder Testnachweisen sei auch nicht Aufgabe von Polizisten. Auch die konkurrierende Gewerkschaft der Polizei (GdP) verwies darauf, dass in erster Linie die Ordnungsämter zuständig seien. „Es ist zunächst keine polizeiliche Aufgabe, die geltenden Corona-Regeln, ob 2G oder 3G, durchzusetzen, sondern eine Aufgabe der Ordnungsämter“, sagte der Vize-Bundesvorsitzende Jörg Radek der NOZ: „Wir treten als Polizei erst auf den Plan, wenn es zu Konflikten kommt.“ Dass die Regeln zu wenig eingehalten würden, liege nicht an der mangelnden Kontrolle, sondern „an der fehlenden Einsicht bei zu vielen Menschen“. Radek sagte: „Die Zuständigen vor Ort, etwa der Gastronom im Restaurant oder der Schaffner im Zug, müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und das Hausrecht durchsetzen.“ Die Ampel-Koalitionäre wollen die Polizei verstärkt in die Überwachung der Corona-Zugangskontrollen einbinden. Sie betonen dabei, dass die Beamten nicht einzelne Impf-Nachweise kontrollieren sollen, sondern ob überhaupt Kontrollen seitens der Betreiber stattfinden. Gewerkschaftschef Wendt attestierte den möglichen Ampel-Koalitionären SPD, Grünen und FDP, „neben der Lebenswirklichkeit“ zu liegen. „Die Vorstellung, dass die Polizei in Bussen und Bahnen den Impfstatus der Fahrgäste kontrolliert, ist völlig abwegig, da sie schlicht nicht zuständig ist“, sagte er der NOZ und fügte hinzu: „Die Polizei arbeitet schließlich auch nicht als Türsteher vor Gaststätten, Diskotheken oder anderen Gewerbebetrieben.“ In der Praxis könnten die etlichen Millionen Menschen, die täglich Busse und Bahnen nutzen, höchstens durch Fahrkartenkontrolleure kontrolliert werden. „Stichprobenkontrollen, von denen die Politik spricht, werden sich also im nicht messbaren Bereich bewegen. Das ist die Illusion von Kontrolle, die in Wahrheit nicht wirksam stattfinden kann“, sagte Wendt.

Giffey verlangt Ausweitung der 2G-Regel auf ganzes Bundesgebiet

Vor dem Bund-Länder-Treffen am Donnerstag fordert die Berliner SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey eine Ausweitung der 2G-Regel auf das gesamte Bundesgebiet. „Wir sind deutschlandweit in einer sehr ernsten Lage“, sagte Berlins designierte Regierende Bürgermeisterin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstagausgaben). Wenn alle Angebote, Kampagnen, Sensibilisierungen und Appelle für eine höhere Impfrate nicht mehr helfen würden, dann müsse man verbindlichere Maßnahmen prüfen, um die Infektionszahlen zu senken, das Gesundheitssystem vor Überlastung zu bewahren und einen erneuten Lockdown zu verhindern. „Die deutschlandweite, flächendeckende Ausweitung der 2G-Regel, mit Ausnahmen nur für die, die sich nicht impfen lassen können, gehört dazu“, so Giffey. Man müsse jetzt alle Anstrengungen unternehmen, damit gerade die Menschen, die sich an die Regeln hielten und die sich bereits impfen lassen hätten, nicht noch weitere schwerwiegende Einschränkungen hinnehmen müssten.

Handwerk hadert mit 3G-Kontrollen und Testpflichten

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) bezweifelt, dass die geplanten obligatorischen 3G-Kontrollen am Arbeitsplatz praktikabel sind. Das sagte ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer der „Welt“. „Bei den Betrieben etwa der Gebäudereinigung oder im Bauhandwerk, bei denen die meisten Beschäftigten direkt zu den Baustellen und dann oft noch zu täglich wechselnden Objekten und Arbeitsorten fahren, dürfte es extrem schwierig werden“, so Wollseifer. „Wie will man das denn kontrollieren?“ Es sei noch völlig ungeklärt, wie diese verlangten täglichen Kontrollen pragmatisch durchgeführt und nachgewiesen werden könnten. Wollseifer wehrte sich dagegen, dass Arbeitgeber künftig Mitarbeitern womöglich werktägliche Corona-Test anbieten sollen. „Viel testen ist auch gut. Aber wenn jetzt noch mehr testen eingefordert wird, können das natürlich nicht allein unsere Betriebe noch zusätzlich übernehmen. Wir sind gegen eine Ausweitung der bisher igen Testangebotspflicht von wöchentlich zwei Tests auf fünf Tage in der Woche.“ Sonst mache sich der Staat „einen schlanken Fuß“ auf Kosten der Betriebe. Drei der fünf Tests würden die Mitarbeiter über für sie kostenlose Bürgertests machen müssen.

Hausärzte erwarten Booster-Ansturm

Der Chef des NRW-Hausärzteverbands, Oliver Funken, rechnet nach der Ankündigung von Gesundheitsminister Jens Spahn mit einem Ansturm auf die Praxen. „Natürlich wird es jetzt erneut einen Ansturm geben“, sagte Verbandschef Oliver Funken der „Rheinischen Post“. Teilweise seien in Praxen schon bis Februar keine Impftermine mehr zu bekommen. „Da die Impfstoff-Mengen in den Praxen erst im Juni/Juli ausreichend zur Verfügung standen, sind die meisten Termine für die Booster-Impfung auch erst von Januar bis März 2022. Darauf bereiten wir uns in den Praxen vor“, so Funken. Spahn hatte in einem Brief an die Ärzte Booster-Impfungen für alle Erwachsenen und das auch vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist empfohlen. „Es ist unverantwortlich, dass Herr Spahn sich ständig über die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission hinwegsetzt“, so Funken weiter. Der Verbandschef geht davon aus, dass es auch Booster-Impfungen für Jugendliche geben wird: „Die 16- bis 18-Jährigen sind seit Ende Mai geimpft worden. Für diese Altersgruppe muss es eine zeitnahe Lösung geben.“ Jugendlichen hätten unter dem Lockdown besonders gelitten. „Sie sind offen für das Impfen. Aber auch hier warten wir auf valide Daten, die auch kommen werden.“ +++