Virologe Streeck: „Ich halte den Shutdown für zu früh“

Saarland schließt Lockdown-Verlängerung nicht aus

Der Bonner Virologieprofessor Hendrik Streeck warnt vor voreiligen Einschränkungen des öffentlichen Lebens. „Ich halte den Shutdown für zu früh“, sagte Streeck der „Süddeutschen Zeitung“. So würden die Infektionszahlen zwar sinken, aber nur vorübergehend. „Das Virus geht ja nicht weg“, so der Virologe. Er fordert, über eine „Langzeitstrategie“ nachzudenken, statt „jede Infektion um jeden Preis“ zu verhindern. Angesprochen auf seine Rolle in der öffentlichen Debatte sieht Streeck sich als Mittler zwischen den Extremen: „Momentan gibt es auf der einen Seite dieses Bagatellisieren und auf der anderen Seite einen sehr alarmistischen Ton. Ich stehe dazwischen.“ Allerdings würden seine Aussagen „in beide Richtungen gerne falsch verstanden“, so der Virologe. „Ich wünsche mir, dass in die Diskussion etwas Ruhe reinkommt.“

Saarland schließt Lockdown-Verlängerung nicht aus

Der Ministerpräsident des Saarlands, Tobias Hans (CDU), hält eine Verlängerung des Lockdowns in den Dezember hinein für möglich, sollten die Infektionszahlen nicht entscheidend sinken und die Kontaktnachverfolgung schwierig bleiben. „Man kann noch schärfere Maßnahmen machen, wir schließen ja auch nicht alles, man kann das Ganze verlängern“, sagte Hans am Freitag der RTL/ntv-Sendung „Frühstart“. Der Plan aber sei, mit den vier Wochen durchzukommen. „Wir haben ganz konkret gesagt, wir möchten einen Bremse-Lockdown, also einen, der jetzt zeitlich begrenzt funktioniert, damit wir dann wieder in eine Phase einsteigen können, wo wir mit Hygienekonzepten und Kontaktnachverfolgung vieles mehr möglich machen wollen.“ In zwei Wochen werde man den bisherigen Erfolg der Maßnahmen mit Bund und Ländern besprechen. Hans wies die Kritik zurück, man suggeriere den Bürgern mit dem zeitlich begrenzten Lockdown, dass danach wieder alles gut sei. Er wolle, dass die Bürger Weihnachten mit der Familie feiern und Silvester mit den besten Freunden anstoßen könnten, so Hans. „Aber völlig klar: Man kann nicht am 1. Dezember einfach weitermachen, als gebe es kein Corona. Wir werden mit diesem Virus noch eine ganze Weile leben müssen.“ Am kommenden Wochenende, dem letzten vor Beginn des Lockdowns, rechnet der CDU-Politiker „vereinzelt“ damit, dass Kneipen, Restaurants oder Fitnessstudios noch einmal überlaufen werden. „Aber ich habe schon den Eindruck, dass ganz viele Menschen sich auch die letzten Tage schon seelisch und moralisch darauf vorbereitet haben, dass der Lockdown eben kommt und jetzt nicht über Gebühr davon Gebrauch machen, noch einmal in die Kneipe zu gehen. Meine herzliche Bitte wäre auch, das jetzt nicht zu übertreiben.“

Tim Mälzer: Gastro-Szene ein Bauernopfer

Den erneuten Lockdown der Gastronomie bezeichnet TV-Koch Tim Mälzer als bitter. „Die Gastronomie wird ja nicht wegen Ansteckungsgefahr geschlossen, dafür gibt es keine Belege“, sagte Mälzer dem „Handelsblatt“. „Wir sind ein Bauernopfer, damit die Menschen zuhause bleiben.“ Die von der Bundesregierung angekündigten Entschädigungen von bis zu 75 Prozent des November-Umsatzes von 2019 lobt Mälzer indes ausdrücklich: „Das sind echte Hilfen – ein positives Signal für die Gastronomie.“ Trotzdem könne eine Pleitewelle nicht verhindert werden. Gerade kleinere Betriebe würden aufgeben müssen. „Die Gastro-Szene wird sich massiv verändern“, so der Fernsehkoch. Tim Mälzer selbst hat mit seinen Restaurants in der Pandemie mehrere Millionen Euro Umsatz eingebüßt. „Ich musste privat Geld zuschießen, um keinen meiner 200 Leute entlassen zu müssen.“ Pünktlich zum zweiten Lockdown baut er einen Lieferservice auf. „Ich lasse mir gerade Nachhilfe von Steffen Henssler geben.“ Von Außengastronomie mit Heizpilzen nach dem Lockdown hält Mälzer persönlich wenig. „Ein Vier-Gang-Menü isst man nicht unter einem Heizstrahler im kurzen Rock und Stöckelschuhen.“

Evangelische Kirche befürchtet Einsamkeit diese Weihnachten

In der evangelischen Kirche wächst die Sorge vor einer verbreiteten Vereinsamung in den Gemeinden um die Weihnachtszeit in diesem Corona-Jahr. „Das alte Problem der Einsamkeit zu Weihnachten droht in diesem Jahr zu eskalieren“, sagte Ralf Meister, Bischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, der „Welt“. „Das weiß auch jede Pastorin, jeder Pastor, jede Gemeinde.“ Es werde also ganz neue Formen von Telefonketten geben müssen. „Das wird auch schon vorbereitet, und genauso wird überall darüber nachgedacht, welche Möglichkeiten von Besuchen es geben wird.“ Zu Ostern sei vielerorts schon sehr viel geleistet worden, sagte Meister. „Die Nachbarschaftshilfe wurde da fast zu so etwas wie einer großen sozialen Bewegung im Land. Ich bin mir sicher, dass es in diesem Jahr zu Weihnachten wieder so sein wird, und die Kirchengemeinden werden viel dazu beitragen.“ Meister äußerte auch die Befürchtung, dass die corona-bedingten Einschränkungen bei Gottesdiensten den ohnehin schon verzeichneten Besucherschwund beschleunigen könnten. „Das ist eine Befürchtung. Genährt wird sie durch die historische Erfahrung, dass es mit wachsender Dauer einer Krise zur Gewöhnung an Lebensweisen unter Krisenbedingungen kommt.“ Wenn das auch dieses Mal der Fall sei, „dann könnte irgendwann bei der Bereitschaft zu Gottesdienstbesuchen dasjenige als Normalität empfunden werden, was durch die Coronakrise entstanden ist“. Allerdings gebe es seit diesem Jahr sehr viele neue und vielseitige digitale Angebote für gottesdienstliche Formen im Internet, die durchaus nachgefragt würden – „auch von Menschen, die unsere klassischen Gottesdienste nur selten oder gar nicht besucht haben“. +++